OSD Willi Bennegger befähigte junge Menschen ihre Potenziale für die Zukunft zu erkennen

Mit Weitsicht, Feingefühl und Respekt hat er die Maria-von-Linden-Schule in die Zukunft katapultiert – Exklusivinterview mit Maike Wagner und Daniela Staengle

Heidenheim(wag). Willi Bennegger geht in den Ruhestand und damit ein ganz besonders wertvoller Pädagoge. Ein 700 Schüler starker Flashmob zum Abschied, das scheint einmalig zu sein. Was für eine Motivation verbirgt sich hinter dem Knowhower und Dohower  Willi Bennegger, den die Schüler ganz salopp auch mit „Hallo Chef „ begrüßen. Wir haben uns mit ihm unterhalten und das war sehr interessant.

 

Wagner: Wie lange sind sie noch im Dienst? Haben sie gerade Urlaub oder sind sie schon ganz weg?

Bennegger:

Nein, ich räume gerade meine Bude aus (lacht). Deswegen stehen hier die ganzen Kisten. Ich muss die ganzen Papiere entsorgen und sie kennen ja die Datenschutzgrundverordnung, d. h. alles was mit personenbezogenen Daten ist kommt in die eine große Metallkiste, die dann zum Schreddern geht und deswegen muss alles sortiert werden.

Wagner: Ich würde unser Gespräch gerne aufzeichnen, ist das in Ordnung?

Bennegger:

Kein Problem, dafür gibt‘s die modernen technischen Medien. Das versuchen wir auch unseren Schülern beizubringen, das Handy ist ein Arbeitsgerät. Wir sind da sowieso  schon ein bisschen weiter als andere in diesem Bereich. Wir haben schon 2007 mit tablets begonnen und diese 2012-13 abgeschafft, weil es aus unserer Sicht keinen Sinn mehr gemacht hat und haben umgestellt auf „bring your own device“. Bei uns arbeiten die Schüler mit ihren eigenen Handys, die haben bei uns freies WLAN. Wir hatten am Anfang Versuche gemacht, dass wir es nur freigeschaltet haben, wenn im Unterricht bestimmte Arbeitsaufträge erledigt werden mussten. Inzwischen haben wir das komplett freigemacht und die Schüler können jederzeit rein. Im Interview wurden Schüler befragt, ob es nicht ausgenutzt wird, dieses freie WLAN, aber da es legal sei, sei es für sie uninteressant. Es kommt schon vor, dass sie mal ne whatsapp-Nachricht anschauen, aber eher weniger als vorher.

Wagner: Herr Dr. Rogowski und die Hanns-Voith-Stiftung wollen sich schulisch in Sachen Digitalisierung noch mehr einbringen. Sie denken darüber nach, nicht nur in hardware in Form von tablets sondern auch in die Befähigung der Lehrer zu investieren um die Hardware in den Unterricht einbauen zu können. Sehen sie hier Bedarf, dass der Lehrkörper fortgebildet werden muss?

Bennegger:

Das ist sehr schwierig. Ich habe eine andere Vorstellung von Digitalisierung und die Schule hat es auch. Ich denke, das wovon Herr Rogowski spricht, ist bei uns bereits Realität. Wir haben dieses „bring your own device“, wir haben blended learning Konzepte, das ist eine Mischung aus e-learning und Präsentsphasen. Die Kolleginnen und Kollegen kommunizieren mit den Schülern bereits über digitale Plattformen. Wir haben speziell Nachhilfe Unterricht eingerichtet für Schülerinnen und Schüler, aber auf digitaler Ebene d.h. die Lehrer sind zu bestimmten Zeiten online erreichbar, die Schüler können ihre Fragen stellen und bekommen die
se direkt beantwortet. Da sind wir schon ganz arg weit. Die Kollegen und die Schülerschaft nutzen die digitalen Plattformen zur Kommunikation.

Wagner: Was glauben sie, warum funktioniert das an der Mariavon-Linden Schule so gut, weshalb tun sich andere Schulen so schwer damit?

Bennegger:

Wir haben einen anderen Denkansatz. Digitalisierung bedeutet für uns nicht, tablets in die Schulen zu bringen, sondern Digitalisierung ist etwas anderes. Digitalisierung ist für uns, Schüler auf die Zukunft vorzubereiten. Es funktioniert einfach nicht, dass ich Schüler von heute mit Bildungsplänen von gestern und Methoden von vorgestern auf die Zukunft von übermorgen vorbereiten möchte, das geht einfach nicht. Wenn wir jetzt als Beispiel uns beide nehmen, wir mussten in die Schule gehen um Wissen zu erlangen, der Lehrer hat uns Wissen vermittelt. Heute muss ich nicht mehr in die Schule gehen um Wissen zu kriegen, Wissen ist außerhalb der Schule überall verfügbar d.h. übers Internet etc. Der Lehrer hat eine ganz andere Rolle. Die Wissenshoheit der Schule ist verloren gegangen. Deswegen müssen aus unserer Sicht, Lehrer heute anders sein und in der Zukunft auch noch mehr anders agieren d.h. der Lehrer wird zunehmend zum Moderator von Lernprozessen, zum Lernbegleiter, muss Lernprozesse strukturieren und aus der Vielfalt an Informationen den Schülern zeigen, was für sie wichtig ist und was nicht wichtig ist. Er muss den Schülern  den verantwortungsvollen Umgang mit dem Handy, mit den digitalen Medien beibringen. Wir haben versucht die nötige Infrastruktur auszubauen, d.h. wir haben das WLAN-Netz ausgebaut. Das ist bei einer kleinen Schule wie uns eine Investition von 70 000 Euro. Warum es anders ist als an anderen Schulen hängt natürlich auch mit dem Schulträger zusammen, der hat eingesehen dass es notwendig ist und hat dann entsprechend Geld reingepackt. Was auch dazukommt ist die Heterogenität (Verschiedenartigkeit) der Schülerschaft, die hat sich dramatisch verändert, also extrem zugenommen. Schule insgesamt hat sich in den letzten fünf Jahren mehr verändert als in den 10 oder 15 Jahren zuvor. Die Lehrer werden zunehmend damit konfrontiert, dass die Leistungsdifferenz immer größer wird. Das lässt sich irgendwann gar nicht mehr bewältigen, wenn ich nicht die Möglichkeiten, die die digitalen Medienbieten, nutze. Der Stützunterricht über die online Plattform hat z. B. den Vorteil, dass der leistungsschwache Schüler, der sich vielleicht im Unterricht nicht traut, abends die Möglichkeit hat seine Fragen zu stellen, und diese beantwortet bekommt. Ebenso der leistungsstarke, der im Unterricht denkt, wenn ich jetzt frage, versteht es keiner, da frage ich lieber direkt den Lehrer. Somit kann man die „Ränder“ wesentlich besser fördern.

Wagner: Wäre es nicht eine gute Idee, wenn die Verantwortlichen der Hanns-Voith-Stiftung, vor einer geplanten Investition in die Schulen, mal mit ihnen sprechen würden?

Bennegger:

Ich glaube, wir sind dort nicht schlecht aufgestellt. Bei uns laufen da tatsächlich schon viele Dinge. So haben wir vor einiger Zeit damit begonnen, Beamer einzusetzen. Die Beamer sortieren wir mittlerweile schon wieder aus, wir haben umgestellt auf Bildschirme, weil der Preisunterschied minimal ist und er sich nach einem Jahr bereits amortisiert hat. Der Bildschirm braucht wesentlich weniger Strom und hat eine längere Standzeit. Die Bildqualität ist viel besser und man kann sich die digitalen Endgeräte sparen. Man kann mit dem Bildschirm in dem ein Browser integriert ist z. B. ein YouTube Video runterladen oder Dinge direkt aus dem Netz holen. Das geht alles total unkompliziert. In manchen Bereichen macht es Sinn, da haben wir touch-Bildschirme reingepackt. Eine Zeitlang waren die interaktiven Whiteboards der große Renner, meiner Meinung nach völlig zu unrecht, weil so etwas nur Sinn macht, wenn ich die entsprechende interaktive software dazu habe. So ein Teil kostet sechs, sieben Tausend Euro, macht aus meiner Sicht keinen Sinn. Wir haben die touchBildschirme in der Chemie und Biologie, da gibt es gute software dazu, da kann ich Moleküle bauen und kann sie dann drehen und die Schüler können sie dreidimensional sehen, da macht es Sinn. Wir haben sie in der Altenpflege, wo Anatomie unterrichtet wird, da haben sie ein Skelett, können es antippen, Muskeln dranbauen und das von allen Seiten anschauen. Auch da macht es Sinn. Man braucht immer die entsprechende interaktive software dazu, alles andere ist aus meiner Sicht Quatsch. Ansonsten genügt ein normaler Fernseher, der hat 75 Zoll und kostet gerade mal nen Tausender. Der hat eine Standzeit von 30.000 bis 60.000 Stunden. So eine Beamer Lampe fängt nach 1000 Stunden an zu schwächeln und die kostet 400 Euro, das steht in keinem Verhältnis. Wir hatten zuerst die normalen mit Lampen, dann haben wir auf LED Beamer umgestellt. Wenn derzeit ein Beamer kaputt geht, wird er konsequent durch einen Bildschirm ersetzt. Auch die Schüler finden das viel besser. Die kommen ohne großen Aufwand mit ihren Handys drauf. Das Entscheidende ist, dass wir die Schüler auf die Digitalisierung vorbereiten. Das Hauptproblem ist,  dass Digitalisierung etwas ist, was nicht in 20 Jahren kommt oder in 10 Jahren, sondern dass es vielleicht in fünf Jahren die Welt dramatisch verändern wird. Wenn sie dran denken, ihr eigenes Handy hat eine Gesichtserkennung, wenn sie sich verkleiden, mit Sonnenbrille und sich einen Bart hin kleben, ihr eigener Freund wird sie nicht erkennen, aber das Handy erkennt sie. So gut sind die schon. Wenn sie bedenken, was Google, Amazon bereits für Rechenalgorithmen haben. Die fliegen über ein Wohngebiet, sehen anhand dessen wo ein Auto, was für ein Auto wie steht und können mit einer über 80 prozentigen Trefferwahrscheinlichkeit sagen, wie dieser Bewohner wählen wird. Oder z. B. Netflix, die analysieren das Sehverhalten ihrer Kunden und machen dann ganz gezielt dafür Filme. Erstaunlicherweise wundern sich die Menschen dann darüber, warum die Netflix Produktionen so erfolgreich sind. Bei der künst
lichen Intelligenz ist es genau das gleiche, die ist schon zu weit fortgeschritten. Im Grunde geht es um Maschinensprache, die Rechenalgorithmen sind alle da und was im Moment ja nur noch fehlt ist die Rechenleistung. So ist es auch beim autonomen Fahren, dass das ganze in Echtzeit passiert. Wenn sie sich gleichzeitig bewusst machen, sowohl die Chinesen als auch die Amerikaner arbeiten derzeit am Quantencomputer. Ein normaler Computer hat einen Prozessor und arbeitet Plus-Minus-Signale ab. Die hat man versucht immer schneller zu optimieren, damit die Verarbeitung schneller abläuft und der Computer immer schneller wird. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Verkehrszeichenerkennung in meinem Auto. Beim Vorbeifahren an einem Verkehrszeichen merkt man genau, er erkennt das Zeichen, dann wird es zuerst in einzelne Pixel zerlegt, dann wieder zusammen gebastelt, dann verglichen mit dem was er abgespeichert hat und dann kommt das Zeichen. Das dauert einfach einen kurzen Moment, den man aber gut wahrnehmen kann. Hängt damit zusammen, weil die Rechengeschwindigkeit nicht da ist. Dieser Quantencomputer, der macht folgendes, der hat nicht nur einen Rechenweg, sondern der hat mehrere Wege parallel, der kann parallel verarbeiten. Den gibt es schon. Der muss auf Null Grad herunter gekühlt sein, der muss schwingend aufgehängt sein, funktioniert schon. Wenn der soweit ist, dass er in der Praxis eingesetzt werden kann, so wie jeder andere PC, dann wird das meiner Meinung nach die Welt so gravierend verändern wie es nicht mal die industrielle Revolution getan hat. Wenn sie beispielsweise eine 310stellige zahl in ihre Primfaktoren zerlegen wollen, dann braucht ihr PC, den sie in ihrem Büro verwenden etwa 100 Jahre dafür. So ein Quantencomputer hingegen wird dieselbe Aufgabe in Sekundenbruchteilen erledigen. Gleichzeitig ist zu bedenken, wenn ein solcher Computer in Sekundenbruchteilen Berechnungen anstellt bzw. Codes knackt, wird es keinerlei digitalen Schutz mehr geben. Das gleiche Problem bei autonomem Fahren, es gibt die die ganzen Sensoren, die Daten werden aufgenommen nur die Rechnergeschwindigkeit reicht nicht aus. Wenn die Quantencomputer da sind, dann geht alles in Echtzeit.

Wagner: Würden sie sich in ein solches Auto setzen, das autonom fährt?

Bennegger:

Ja klar. Mein Auto macht das auch schon teilautonom und ich genieße es auf der Autobahn, vor allem wenn ich Kolonne fahr, dann gebe ich mein Abstandsradar ein, und dann hält es immer den Abstand den ich einstelle zum Vordermann, ob der beschleunigt oder bremst, oder sonst was, das ist total entspannt. 60 bis 70 Prozent der Schüler, die heute eingeschult werden, arbeiten später mal in Berufen, die es heute noch gar nicht gibt. Zehn Jahre sind so schnell vorbei, da denken die wenigsten dran.

Wagner: Finden sie es gut, das Bildung in Deutschland Ländersache ist?

Bennegger:

Ich finde das gar nicht schlecht, das es Ländersache ist, weil wenn es auf Bundesebene organisiert ist, dann wird es noch träger unter Umständen, und so kann es sein, dass einzelne Länder – was tatsächlich auch so ist – dass die dort etwas dynamischer sind, vorpreschen und dort die Latte sukzessive etwas höher legen und die anderen dadurch mitziehen. Von daher finde ich dieses „Konkurenzdenken“ gar nicht schlecht. Was Digitalisierung anbelangt, sind sie einfach hinterher, das ist auch ein Bundesproblem. Nur zwei Prozent aller KI-Patente kommen aus Deutschland, 75 Prozent aus Amerika. Von den 20 größten Firmen die sich mit digitaler Intelligenz und Robotik usw. beschäftigen sind ca. 12, 13 amerikanische Firmen und sieben Chinesen.

Wagner: Was ändert sich ihrer Meinung nach durch Künstliche Intelligenz und Robotik?

Bennegger:

Die einfachen Arbeiten können von Robotern übernommen werden, das hat man auf der letzten Cebit sehen können. Da gab es Roboter, die Wände streichen, es gibt mittlerweile Zeitarbeitsfirmen, die vermieten Roboter als Zeitarbeiter. In unserer Schule haben wir einen Fokus auf den sozialen Bereich gelegt, und auf den Gesundheitsbereich, den pflegerischen Bereich, weil das zwei Bereiche sind, bei denen man nach wie vor nicht ohne Menschen auskommt. Menschen werden auch in der Zukunft von Menschen gepflegt werden. Ich kann vielleicht einfache Tätigkeiten, die es jetzt schon gibt, im Bereich der Aktivierung mit Hilfe von Robotern erledigen. Oder zum Beispiel Wäsche auf den Zimmern verteilen lassen, dass kann man auch, den Roboter erledigen lassen. Aber die Beschäftigung mit dem Heimbewohner, dem Patienten, das geht nicht anders.

Wagner: Da die Menschen immer älter werden, ist der soziale und pflegerische Bereich eine gute berufliche Perspektive. Wie sehen sie das?

Bennegger:

Ein Arbeitsplatz in der Pflege ist sicherer als jeder Beamtenjob. Der große Vorteil, ich kann nicht nur in Deutschland arbeiten, ich werd in der Schweiz, in Österreich und in Amerika mit Handkuss genommen. Ich hab in diesem Bereich alle Möglichkeiten. Inzwischen ist der Aufbau sehr modular, ich kann mit relativ geringer Qualifizierung, sprich mit Hauptschulabschluss einsteigen, mach den Pflegehelfer, kann dann die Regelausbildung machen, kann dann dort Praxisanleiter weitermachen, kann dann Wohnbereichsleiter machen, kann dann Pflegedienstleitung machen, kann weitermachen zur Heimleitung, kann mich selbstständig machen. Ich hab das komplette Spektrum. Das Gehalt ist mittlerweile ok. Eine ausgebildete Pflegefachkraft verdient 3200 Euro, das ist für einen Ausbildungsberuf nicht schlecht – plus Zulagen. Sie haben ihre 38 Stunden Woche, 30 Tage Urlaub etc. Das ist wirklich eine Chance, einen sicheren Beruf zu haben und das wird auch in Zukunft einer der wenigen sein, den sie erlernen und bis an ihr Lebensende ausführen können. In den meisten anderen Berufen werden sie während ihres Lebens hin und her switchen bzw. umlernen müssen.

Wagner:  Eine Frage in die Zukunft gerichtet, werden sie den Gong vermissen und wie geht es weiter?

Bennegger:

Nein, den werd ich sicher nicht vermissen, abgesehen davon, dass er hier drin fast nie zu hören war. Ich lass das alles auf mich zukommen, ich bin eher so ein Mensch der lebt im jetzt und in der Zukunft und was gestern war, die Katz ist den Baum nauf, darüber brauch ich mir keine Gedanken mehr machen, und das mach ich auch nicht. Ich hatte wirklich 37 tolle Jahre in der Schule, sowohl als Lehrer als auch hier als Schulleiter in Heidenheim. Da muss man auch ein bisschen von Glück reden, das ist auch nicht jedem vergönnt, dass er das am Ende seines Berufslebens sagen kann, die Zeit ist für mich brutal schnell vorbei gegangen und ich konnte sie tatsächlich genießen. Ich fand es immer einen tollen Beruf.

Wagner: Gab es Momente in ihren vielen Berufsjahren die sie besonders berührt bzw. bewegt oder emotional sehr gestresst haben?

Bennegger:

Eigentlich jetzt erst, nachdem ich raus bin. Was mich tatsächlich berührt oder erstaunt, ich weiß gar nicht wie ich es formulieren soll, ich krieg ganz viel Post von ehemaligen Schülerinnen und Schülern und auch von ehemaligen Kolleginnen und Kollegen. Ich hab heut wieder einen bekommen von einer ehemaligen Schülerin, das ist herzzerreißend wenn sie das lesen und das war mir in diesem Moment gar nicht so bewusst.

Wagner: Häufig hört man, das jemand rausgemobbt wird, aber dass man zum Abschied einen „flashmob“ bekommt spricht für sich. Mein Gefühl ist, dass sie den Schülern gegenüber immer den richtigen Ton gefunden haben, zwischen Autorität, Freundschaft und ehrlich gemeinter Forderung – die Person erkennen. Ich denke sie haben ihren Schülern Flügel verliehen auf deren Weg in die Zukunft.

Bennegger:

Ich hoffe ich hab‘s geschafft, zumindest viele der Briefe die ich bekommen hab die drücken das aus. Es geht eigentlich immer in die gleiche Richtung, dass sie eben durch die Gespräche, dann doch ihren Abschluss gemacht haben. Ich denke das entscheidende ist immer, die Schüler als Person die sind in der Regel immer ok. Wenn er ein Verhalten gezeigt hat, dass nicht ok war, dann sag ich dem das, das muss ich immer differenzieren. Das ist dann das Verhalten, das nicht ok ist, deswegen ist der Schüler als Person trotzdem in Ordnung  für mich. Ich glaube, das wird häufig vermischt. Ich hoffe ich hab das einigermaßen hingekriegt das zu differenzieren.

Wagner: Da bin ich überzeugt davon. Ich kenne auch viele Schüler die das so aufgenommen haben und ich kenn auch viele Lehrer von meinen Kindern, wo es nicht so war. Das sehe ich als Wertschöpfung dieses Hauses, Mariavon-Linden Schule dass da ein Oberstudiendirektor Bennegger sitzt der nicht nur das Wissen und den Weitblick hat, sondern auch das Feeling für die jungen Leute. Bestes Beispiel: „Nacht der offenen Tür“. Es gibt eine Ausbildungs- und Studienmesse in Heidenheim, tolle Sache, aber die Zeit von 9 bis 14 Uhr am Samstag lockt nicht unbedingt die Altersgruppe die es betrifft aus dem Bett.

Bennegger:

Ich habe das auch schon angesprochen, weil es meiner Meinung nach eine schwierige Zeit ist. Ich muss halt schon ein bisschen auf das Klientel eingehen, das ich erreichen will. Da kann ich nicht einfach was oktroyieren (aufdrängen) sondern da muss ich schauen, was ist für die Leute wichtig und wie komm ich an sie ran.

Wagner: Die „Nacht der offenen Tür“ ist ja immer ein großer Erfolg, die jungen Leute sind total begeistert, jeder macht da sein Ding, stellt es vor. Auch die Klassenreise meines Sohnes nach Südfrankreich war etwas ganz besonderes. Sie haben es geschafft, ihn an genau der Stelle zu „kitzeln“ die ihn gerade beschäftigt hat. Das ist Kunst.

Bennegger:

Mich freut es, wenn das geklappt hat, aber das Entscheidende ist, das bin nicht ich allein, das sind viele Kolleginnen und Kollegen bei uns an der Schule auch, und das war früher eine feine Geschichte, wir konnten die Lehrer alle selber auswählen, d. h. wir haben die Stellen ausgeschrieben und dann konnten wir die Lehrer auswählen. Das ist etwas, was das Regierungspräsidium, meiner Meinung nach, auch nicht begriffen hat, ich brauch nicht den besten Lehrer, also notenmäßig, ich brauch den Lehrer der am besten zur S c h u l e passt. Genauso wie ich eben einen Schulleiter brauche der zur Schule passt. Es gibt nicht den guten und den schlechten, sondern er muss zur Schule passen. Hier an der Mariavon-Linden Schule, in einem ländlichen Einzugsgebiet brauch ich einen anderen Schulleiter als in einer großen gewerblichen Schule in Stuttgart mit 6000 Schülern. Der braucht da andere Qualifikationen und da wird überhaupt nicht differenziert sondern wird alles über einen Kamm geschoren. Ich brauch eben hier, und so haben wir es selektiert, ich brauch hier Lehrer, die auf Schüler eingehen können. Das wichtigste Kriterium für mich immer bei Bewerbergesprächen war und ist „mag der Schüler?“. Das ist das Entscheidende für mich, nur dann kann ich ein guter Lehrer sein. Ob der ne eins oder ne zwei hat, also notenmäßig, ist für mich völlig uninteressant, weil das, was er fachlich draufhaben muss, dass hat er immer drauf. Und er muss ins Team passen. Das ist auch eine feste Überzeugung von mir, nur wer die Fähigkeit zur Kooperation hat, hat die Chance in der Zukunft erfolgreich zu sein. Davon bin ich fest überzeugt, anders wird es nicht mehr gehen. Was mich im Moment eher etwas beunruhigt, ich denk es wird zunehmend psychische Probleme geben. Wir haben aktuell die Situation, dass die Schüler so auf diesem schmalen Grat zwischen digitaler und realer
Welt wandern, das verschwimmt für die und die Gefahr besteht, dass sie in die digitale Welt abkippen. Die können häufig nicht mehr zwischen digitaler und realer Welt unterscheiden. Das wird zwangsläufig zu nicht unerheblichen Problemen führen und da glaube ich bekommt die Schule in der Zukunft noch wesentlich mehr Aufgaben und Bedeutung dass sie die Schüler in der realen Welt hält. Da spielen für mich die außer unterrichtlichen Veranstaltungen eine wichtige Rolle. Wir haben jetzt auch begonnen, vor ein oder zwei Jahren, dass wir zu Beginn des Schuljahrs, gleich in den ersten ein, zwei Wochen so ne Art Kennenlern-Tage machen, es sind im Grunde Tage wo Gruppenbildungsprozesse stattfinden d. h. da fahren sie zum Beispiel nach Schw. Gmünd in den Kletterpark, wir nehmen uns einen Sozialpädagogen dazu und da machen die einfach Gruppenbildungsprozesse damit sie von Anfang an zusammen arbeiten können um dann ihre maximale Leistung rauskriegen zu können. Uns geht es in der Schule nicht darum, lauter Einserschüler zu haben sondern das Ziel muss sein, grundsätzlich von der Schule, jeden so zu fördern, dass er im Rahmen seiner Möglichkeiten, die maximale Leistung bringt. Und zwar sowohl bei Schülern als auch bei Lehrern. Wenn er im Rahmen seiner Möglichkeiten eine tolle Leistung bringt, dann ist das auch für mich eine tolle Leistung, ob das jetzt eine drei ist oder ne eins, das ist meine ehrliche Überzeugung.

Wagner: Das muss man halt als Lehrer dann auch spüren – wo kommt das Kind an seine Grenzen.

Bennegger:

Das versuchen wir unseren Lehrern beizubringen, es geht nicht drum, alle zu kriegen und alle auf eins zu kriegen.Es geht darum, jeden im Rahmen seiner Möglichkeiten so zu fördern, dass er für sich, das was er schaffen kann, die maximale Leistung bringt.

Wagner: Das wäre dann auch die Befähigung fürs Leben, seinen Weg zu gehen.

Bennegger:

Ja, das ist die Aufgabe der Schule, im Grunde werden wir von der Gesellschaft dafür bezahlt, möglichst viele nützliche Mitglieder für die Gesellschaft zu produzieren. Das ist eigentlich unser Job. Und wir sind letztlich, auch gerade hier an der beruflichen Schule, im Grunde auch die letzte Instanz die noch Einfluss nehmen kann, irgendwie eine Richtung geben kann für die Schülerinnen und  Schüler. Sie haben es vielleicht selber erlebt, bei ihrem Sohn, wenn die zu uns kommen, sind sie häufig noch Kinder, Jugendliche und wenn sie gehen, beim Abiturball sind es junge Erwachsene, mit klaren Zielvorstellungen, nicht unsicher, selbstbewusst, haben ein gewisses Wissen drauf, einfach nur toll. Das ist es, was mich ein Leben lang begeistert hat. Das empfinde ich als großes Privileg, gerade im Lehrerberuf, dass ich eben wirklich ein Leben lang mit jungen Menschen zusammen arbeiten kann, das gibt es sonst nirgendwo.

Wagner: Ja, wenn jetzt die Lehrer befähigt sind, bleibt die Frage, wie befähigt man die Eltern?

Bennegger:

Es ist schwierig, wenn eine Generation Kinder bekommt, und die erziehen soll, die selber in einer Zeit der antiautoritären Erziehung – wo Erziehung quasi nicht stattgefunden hat. Was Eltern nicht begriffen haben, Werte und Normen fallen nicht vom Himmel und ich muss die dem Kind ja sagen. Genauso wie ich ihm sagen muss, zwei plus zwei ist vier so muss ich ihm sagen was möchte ich in meiner Gesellschaftsform, was erwarte ich von dem Kind. Woher soll das Kind das wissen. Dafür brauch ich ihn nicht in die Ecke knüppeln, sondern kann ihm ganz klar sagen, das erwarte ich von dir, das möchte ich von dir, damit es sich einigermaßen gesellschaftskonform verhalten kann. Das muss die Schule übernehmen, wenn es die Eltern nicht tun.

Wagner: Die Digitalisierung wird für die junge Generation eine riesige Herausforderung. Wie können die Eltern, die meist zu den digitalen Medien noch einen größeren Abstand haben, ihre Kinder da noch unterstützen?

Bennegger:

Das Problem ist aus meiner Sicht, viele Eltern arbeiten in Berufen die z. B. als Krankenschwester sehr anstrengend sind, oder auch irgendwo am Band, mit der Intention, dass es ihre Kinder mal besser haben sollen. Aber was heißt „mal besser haben“? Ich glaube, die hälfte der Kinder macht gerade Abitur und will irgendwie studieren, wenn man gleichzeitig aber weiß, dass auf einen Studierten zehn Arbeitnehmer ohne Studium gesucht werden, dann ist es nicht ganz einfach. Und wenn man bedenkt, dass man mit einem Handwerksberuf mehr verdient als mit einem Studium. So ein FH-Ingenieur fängt mit 3200 Euro brutto an. Wenn sie irgendwo beim Bosch anfangen, als Meister haben dann fünf, sechs Tausend Euro. Wenn sie jetzt heute ein Pflaster brauchen, selbst im Winter, wenn es lausig kalt ist und ihre Heizung ausfällt, da warten sie, keine Ahnung wie es in Heidenheim ist, in Ulm dauert es halt mal zwei, drei Wochen.

Wagner: Was würden sie den Studenten heute, die auf Lehramt studieren, wünschen?

Bennegger:

Ich würde ihnen wünschen, dass sie diesen Beruf nur dann  machen, wenn sie tatsächlich Freude am Beruf haben, das also keine anderen Motivationen da sind, sprich sicherer Arbeitsplatz, viel Ferien oder sonstige Dinge, sondern das ich den Beruf mach, weil ich jungen Menschen was vermitteln will, weil ich junge Menschen ein Stück weit auf ihrem Weg zum Erwachsen werden begleiten möchte. Das muss Motivation sein. Wenn die da ist, werden sie viel Spaß an ihrem Beruf haben, werden Erfolg haben und dann funktioniert das. Derzeit haben wir das Problem, das nur 30 Prozent Lehrer sind weil sie es wollten und 70 Prozent aus anderen Gründen wie „der sichere Beamtenjob“ oder aus dem Medizinstudium nichts wurde. Das sind schlechte Voraussetzungen für ein zufriedenes Berufsleben. Ich denke, das ist das wichtigste, das man in seinem Beruf zufrieden sein kann.

Wagner: Man ist ja ziemlich lange Zeit im Beruf, wenn man sich die Uhr mal so vorstellt.

Bennegger:

Es nimmt einen ganz großen Teil des Lebens ein, und wenn dieser große Teil nicht zufriedenstellend ist, das finde ich schrecklich und das wünsche ich keinem. Sind sicher auch manchmal die Verwaltungsstrukturen die nicht so sind wie ich sie mir vorstellen würde.

Wagner: Herr Bennegger, Hobbies?

Bennegger: 

Hobbies? Hobbies hab ich viele. Radfahren, Skifahren, Segeln, Wandern, Reisen. Ich arbeite gern auch ein bisschen wissenschaftlich, hab ich die ganze Zeit immer noch gemacht.

Wagner: In welchem Sternzeichen hat Oberstudiendirektor Bennegger 37 Jahre agiert?

Bennegger:

Ich bin Stier. So ein richtig klassischer, ich kann auch gut genießen aber ich hab auch einen eigenen Kopf. Ich hab klare Zielvorstellungen, so muss man es vielleicht formulieren.

Wagner: Was ist ihnen noch wichtig, worüber möchten sie noch sprechen?

Bennegger: 

Es ist mir wichtig, das rüberkommt Lehrer ist nach wie vor ein toller Job, ein ganz, ganz toller Beruf der sehr viel Zufriedenheit  und Befriedigung geben kann mit der Voraussetzung, dass ich es mache, weil ich Lehrer sein möchte.

Wagner: Wo haben sie studiert?

Bennegger:

Ich hab in Tübingen studiert. Ich hab aber auch ne Ausbildung als Bauer mal gemacht, ich hab einen Gesellenbrief als  Tierwirt um ganz genau zu sein.

Wagner: Und dann hatten sie nur Wüstenrennmäuse?

Bennegger:

Nein. Ich hatte auch mal einen zahmen Biber. Gut ich hatte ihn als kleinen, hab ihn dann mit der Flasche aufgezogen. Ich hatte auch Leguane und Piranhas und Hunde hatte ich auch. Mein Großvater hatte eine Landwirtschaft. Rinder, Schweine, Hühner, Schafe, Gänse.

Wagner: Toll, wenn man solche Erfahrungen auf einem Hof sammeln kann.

Bennegger:

Ich denke grundsätzlich wäre es für Lehrer nicht schlecht, wenn sie Erfahrung in einem Bereich hätten in dem sie ihre Schüler ausbilden sollen. Ein halbes Jahr wäre gut, in irgendeinem Betrieb, am besten Gastronomie, in der Küche, da geht es richtig zu. Wenn einer da ein halbes Jahr geschafft hat und dann ins Lehramt geht, dann wird er den Beruf schätzen, wird glücklich und zufrieden sein oder von mir aus in einem Pflegeheim, einfach halbes Jahr in einem Bereich arbeiten, in einem Wirtschaftsbereich und dann erst ins Lehramt so wie es früher in den neuen Bundesländern üblich war. Da mussten sie ein Jahr in einem Betrieb arbeiten bevor sie Lehrer werden durften. Das fand ich einen Verlust bei der Wiedervereinigung.

Staengle: Als ich bei der „Nacht der offenen Tür“ hier war, haben mir die Schüler das Gefühl vermittelt, von freundlichem angenommen sein, wie zuhause eigentlich. Wie haben sie das geschafft?

Bennegger:

Das ist ganz einfach. Nur wenn sich jemand an seinem Arbeitsplatz wohlfühlt wird er im Rahmen seiner Möglichkeiten die maximale Leistung bringen und so haben wir natürlich versucht, für die Lehrer die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass sie sich wohlfühlen. Erstens sind sie natürlich handverlesen. Alle die da sind wurden über mich ausgesucht. Und zum zweiten die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass das halt funktioniert. Wir haben organisiert, dass es jeden Tag in der großen Pause Frühstück gibt für alle. Jeden Tag bringt ein anderer Lehrer das Frühstück für alle mit. Wir sind immerhin 70 Leute und das funktioniert fast jeden Tag im Jahr. Da kommen alle zusammen, da freut sich jeder drauf, solche Dinge. Das machen zum Beispiel auch die 12er für die neuen 11er in den ersten Wochen. Die organisieren ein gemeinsames
Frühstück für die „Neuen“. Wir haben die Weihnachtsfeier mit den Weihnachtsbäumen, die dann prämiert werden und dann in den Tafelladen kommen. Der Tafelladen wartet immer schon darauf, bis die ca. 20 Weihnachtsbäume kommen. Oder das Osterfrühstück, der Weihnachtskalender den wir da immer machen, da freuen sich die Schüler und nehmen sich was raus. Die ganzen außerunterrichtlichen Veranstaltungen, ob das Skifahren ist, ob das Banyuls ist, oder Rom, Barcelona auch das ist ein wichtiger Teil der dazugehört. Und dann natürlich der Umgang der Lehrer mit den Schülern. Dass die Lehrer die Schüler nicht nur als Masse sehen, sondern sich auch der Probleme der Schüler annehmen. Das finde ich entscheidend.

Wagner: Halten sie den Kontakt in die Schule noch?

Bennegger:

Ja, ich werde vielleicht vom Schulträger jetzt noch im Rahmen dieser integrierten Pflegeausbildung eine kleine Aufgabe übernehmen, um das zu koordinieren. Wir haben ja im Landkreis Heidenheim die einmalige Chance, wir haben nur zwei Pflegeschulen und die sind beide beim gleichen Schulträger, nämlich dem Landkreis. Und da es in der Pflege nicht so einfach ist mit Personal und Mitarbeitern und dann denke ich es wäre sinnvoll, die unter einen Hut zu kriegen, eine ganz einfache, klare Struktur zu schaffen, dass wenn einer sich für Pflege interessiert, dass er nicht hier und dort nachfragen muss sondern das klar ist, dort gibt es einen Ansprechpartner und der macht Ausbildung. Es gibt dann die integrierte Pflegeausbildung d. h. egal ob ich im Altenheim das mach oder in der Klinik, es ist beides mal der gleiche Abschluss, die gleiche Ausbildung, ich kann überall arbeiten. Das finde ich toll. Es gibt einfach Menschen, die sind in der Klinik besser aufgehoben aus meiner Sicht, und andere im Pflegeheim. In der Klinik werden die Patienten ein paar Tage betreut, im Altenheim begleitet man die Bewohner bis zum Schluss.

 

Vielen Dank für das Gespräch

Fotos: Maike Wagner, WZ

 

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