Ein herber Verlust für die Region – Flüchtlingshilfe Wald e.V. wird aufgelöst

von | 11. August 2023 | Altmühlfranken, Gunzenhausen, Treuchtlingen, Weißenburg

(red). Das Schick­sal Flucht kann jeden tref­fen. Die Grün­de dafür kön­nen viel­fäl­tig sein, Men­schen flüch­ten vor Krieg, vor der Kli­ma­ka­ta­stro­phe oder weil sie am Ver­hun­gern sind. In einem Akt von Nächs­ten­lie­be nahm Euro­pa in den Jah­ren 2015 und 2016 Mil­lio­nen Geflüch­te­te auf, vie­le Hun­der­tau­sen­de davon kamen in Deutsch­land an. Das Schick­sal der Betrof­fe­nen ließ nie­man­den kalt und es bil­de­ten sich vie­ler­orts enga­gier­te Hel­fer­krei­se und gemein­nüt­zi­ge Ver­ei­ne. Die Flücht­lings­hil­fe Wald ist eine die­ser Gemein­schaf­ten, die sich der Mensch­lich­keit ver­pflich­tet, jah­re­lang um Geflüch­te­te in der Regi­on Alt­mühl­fran­ken küm­mer­te. In der Stadt Gun­zen­hau­sen fan­den die Ver­ant­wort­li­chen immer ein offe­nes Ohr, auf den Aus­tausch folg­te gegen­sei­ti­ge Unter­stüt­zung. Mit­te Sep­tem­ber 2023 löst sich der Ver­ein nun auf – ein her­ber Ver­lust für den Raum Gun­zen­hau­sen.

„Die Flücht­lings­hil­fe Wald ist aus unse­rer Regi­on eigent­lich nicht weg­zu­den­ken“, betont Ers­ter Bür­ger­meis­ter und Ehren­mit­glied des Ver­eins Karl-Heinz Fitz. „Den Flücht­lin­gen bei der Ori­en­tie­rung im neu­en Land zu hel­fen, ist wesent­lich für eine gelun­ge­ne Inte­gra­ti­on. Die Kom­mu­nen sind hier­bei auf die Unter­stüt­zung Ehren­amt­li­cher ange­wie­sen, denn vor allem per­so­nell lässt sich die­se Auf­ga­be nicht bewäl­ti­gen. Die Flücht­lings­hil­fe Wald hat jah­re­lang Men­schen in Not gehol­fen und dabei gezeigt, dass es eine gan­ze Rei­he von Bür­ge­rin­nen und Bür­gern gibt, die sich für ande­re enga­gie­ren wol­len. Mich berührt das, denn es zeigt ein­mal mehr, dass unse­re Gesell­schaft lan­ge nicht so ego­is­tisch ist, wie sie manch­mal gemacht wird. Aller­dings kann die Arbeit mit Geflüch­te­ten auch kräf­te­zeh­rend und her­aus­for­dernd sein. Gera­de die bedrü­cken­den Schick­sa­le berüh­ren und las­sen nie­man­den kalt. Ich dan­ke der Flücht­lings­hil­fe Wald für das gro­ße Enga­ge­ment und möch­te ins­be­son­de­re den drei ver­ant­wort­li­chen Damen mei­ne Hoch­ach­tung aus­spre­chen. Ich emp­fin­de auch wegen der engen Kon­tak­te und nicht zuletzt des für die Men­schen gemein­sam Erreich­ten eine gro­ße Weh­mut bei der Auf­lö­sung des Ver­eins. Den­noch habe ich Ver­ständ­nis für die­se Ent­schei­dung. Vie­len Dank Frau Dr. Bea­te Klep­per, Frau Doro­thee Bucka und Frau Vero­ni­ka Orte­ga.“

Seit sei­ner Grün­dung im Jahr 2015 hat­te sich der Flücht­lings­hil­fe Wald e.V. um Men­schen mit Flucht­er­fah­rung oder Migra­ti­ons­hin­ter­grund geküm­mert. Von Beginn an stand die Inte­gra­ti­on im Mit­tel­punkt, durch­ge­führt wur­den unzäh­li­ge Alpha­be­ti­sie­rungs­kur­se und Arbeits­qua­li­fi­zie­rungs­maß­nah­men, z.B. Gabel­stap­ler­kur­se in Zusam­men­ar­beit mit der Gun­zen­häu­ser Fir­ma Huber & Rie­del. Hil­fe im All­tag war ele­men­tar, aber auch die Ver­mitt­lung gegen­sei­ti­gen Respekts und der Aus­tausch von frem­den Kul­tu­ren. Zeit­wei­se wur­den mehr als 800 Geflüch­te­te von rund 100 Ehren­amt­li­chen betreut, letz­te­re wur­den von der Flücht­lings­hil­fe Wald geschult, bei­spiels­wei­se durch Work­shops für inter­kul­tu­rel­le Kom­pe­tenz oder im Rah­men einer Kon­flikt­be­ra­tung. „Als Ver­ein haben wir 2015 in den Wal­der See­stu­ben ange­fan­gen, daher kommt auch der Name Flücht­lings­hil­fe Wald“, erklärt die schei­den­de 1. Vor­sit­zen­de Doro­thee Bucka. „Täg­lich kamen Flücht­lin­ge in unse­rer Regi­on an, daher wuchs unse­re Gemein­schaft rasant. Plötz­lich waren wir in Gnotz­heim, Hei­den­heim oder Wei­ßen­burg aktiv, spä­ter dann auch außer­halb des Land­krei­ses in Mer­ken­dorf und Orn­bau. Unser geleb­tes Mot­to war immer ´Hil­fe zur Selbst­hil­fe und Men­schen begeg­nen Men­schen´. Inte­gra­ti­on steht und fällt mit dem gegen­sei­ti­gen Aus­tausch.“

Bis zu ihrem Ruhe­stand war Doro­thee Bucka neben der Ver­eins­tä­tig­keit in der Flücht­lings­hil­fe Wald in der Frei­wil­li­gen­agen­tur alt­mühl­fran­ken aktiv. Die Agen­tur unter­stütz­te den Ver­ein bis zum Aus­schei­den Buck­as finan­zi­ell und half bei der Ver­mitt­lung zwi­schen den staat­li­chen Behör­den. Vero­ni­ka Orte­ga ist dage­gen die gute See­le des Ver­eins. Nach meh­re­ren Jahr­zehn­ten im süd­ame­ri­ka­ni­schen Aus­land weiß sie um die Schwie­rig­kei­ten des Ankom­mens. Welt­an­schau­lich neu­tral such­te sie von Beginn an aktiv den Kon­takt und bau­te Bezie­hun­gen auf. Häu­fig war sie als Sprach­ver­mitt­le­rin im Ein­satz, als Refe­ren­tin sogar bay­ern­weit. „Eine gemein­sa­me Spra­che ist der Schlüs­sel, daher habe ich nach und nach Unter­richts­ma­te­ria­li­en zum schnel­len Deutsch­ler­nen erstellt“, erklärt Vero­ni­ka Orte­ga. „Die Lern­vor­la­gen aus Schu­len waren unse­rem Denk­sys­tem ver­haf­tet, das woll­te ich auf­bre­chen und die Unter­la­gen der Lebens­si­tua­ti­on der Geflüch­te­ten anpas­sen. Dane­ben hat mich vor allem das Schick­sal geflüch­te­ter Frau­en berührt. Wir woll­ten mit ihnen ins Gespräch kom­men und haben bei­spiels­wei­se in Hei­den­heim eine offe­ne Näh­stu­be ein­ge­rich­tet. Jedoch sitzt der Schmerz oft tie­fer, als dass ihn unver­bind­li­che Gesprä­che lösen könn­te. Als Füh­rungs­rie­ge des Ver­eins haben wir uns des­we­gen stän­dig wei­ter- und fort­ge­bil­det. Ich z.B. habe mich umfang­reich mit mus­li­mi­scher Seel­sor­ge beschäf­tigt.“

In den letz­ten acht Jah­ren setz­te die Flücht­lings­hil­fe Wald zahl­rei­che Pro­jek­te um. Das Café mit­ten­drin war nicht nur ein sozia­ler Treff­punkt und wich­ti­ger Ort des kul­tu­rel­len Aus­tauschs, auch Bewer­bungs­trai­nings wur­den dort durch­ge­führt. Dage­gen war „Möbel mit­ten­drin“, das gemein­sam mit dem Job­cen­ter ange­bo­ten wur­de, nicht nur Umzugs­hil­fe, son­dern auch Klei­der­kam­mer und eine Bezugs­quel­le für gute, gebrauch­te Möbel. In Koope­ra­ti­on mit dem lag­fa Bay­ern e.V. kon­zen­trier­te sich der Ver­ein auf die Sprach­ver­mitt­lung, bot u.a. Alpha­be­ti­sie­rungs­kur­se an, eine Fahr­rad­werk­statt oder ehren­amt­li­ches Imkern. „Vie­le Geflüch­te­te wis­sen anfangs gar nicht, ob sie in Deutsch­land blei­ben dür­fen“, betont Dr. Bea­te Klep­per. „Wir gin­gen immer mit Tole­ranz, Offen­heit und Ver­ständ­nis auf die Men­schen zu. Bereits wäh­rend der Coro­na­kri­se haben wir die Bezeich­nung „Flücht­lings­hil­fe Wald“ als nicht mehr ange­mes­sen emp­fun­den. Es ging näm­lich längst nicht mehr um eine Sofort­hil­fe, son­dern viel­mehr um Beglei­tung der hier wohn­haf­ten Migran­ten. Die­se haben nach und nach mehr Ver­ant­wor­tung über­nom­men und waren z.B. als Dol­met­scher aktiv.“

Die Päd­ago­gin Dr. Bea­te Klep­per hat­te den Vor­sitz des Ver­eins von 2015 bis 2019 inne, die Auf­lö­sung des Ver­eins macht sie und ihre Kol­le­gin­nen trau­rig. „Wäh­rend der Coro­na­kri­se haben wir vie­le Ehren­amt­li­che ver­lo­ren, dazu hat uns der Ukrai­ne­kon­flikt an die Gren­zen des Mach­ba­ren gebracht“, erklärt Dr. Bea­te Klep­per. „Wir gehen alle auf die 70 zu und kön­nen die vie­len Auf­ga­ben nicht mehr leis­ten. Natür­lich wird es wei­ter eine Flücht­lings­hil­fe in Gun­zen­hau­sen geben, nur eben nicht mehr als Flücht­lings­hil­fe Wald. So gibt es ein Mul­ti­Kul­ti­Fo­rum, außer­dem über­nimmt der gemein­nüt­zi­ge Ver­ein ENSOXX vie­le unse­rer Auf­ga­ben. Wer bei der Flücht­lings­hil­fe Wald aktiv war und wei­ter­hin hel­fen möch­te, der kann sich ger­ne bei ENSOXX mel­den.“

Auch die Stadt Gun­zen­hau­sen bedau­ert die Auf­lö­sung des Flücht­lings­hil­fe Wald e.V. „Die Jah­re über waren wir froh, dass wir die Flücht­lings­hil­fe als ver­läss­li­che Part­ne­rin an unse­rer Sei­te hat­ten“, betont Ers­ter Bür­ger­meis­ter Karl-Heinz Fitz. „Das gro­ße Enga­ge­ment war nicht selbst­ver­ständ­lich und im gro­ßen Cha­os des Jah­res­wech­sels 2015/2016 hat die Flücht­lings­hil­fe mit Bedacht an Lösun­gen gear­bei­tet. Wir sind dem Ver­ein zu gro­ßem Dank ver­pflich­tet. Ihr Ein­satz kam immer von Her­zen und die Brei­te ihrer Akti­vi­tä­ten war ein­drucks­voll. Die Stadt­ver­wal­tung hat Sie ger­ne unter­stützt. Für den Ver­ein und sei­ne Arbeit stand immer der Mensch im Mit­tel­punkt und nicht sei­ne Her­kunft.“

Foto: Stadt Gun­zen­hau­sen (v.l.n.r.: Vero­ni­ka Orte­ga, Doro­thee Bucka, Dr. Bea­te Klep­per, Ers­ter Bür­ger­meis­ter Karl-Heinz Fitz)