Klimaneutralität und Biodiversität in der Praxis

von | 11. August 2023 | Allgemein

Kli­ma­neu­tra­li­tät und Bio­di­ver­si­tät in der Pra­xis
Kom­mu­nen, Unter­neh­men & Land­wir­te aus Mit­tel­fran­ken und der Ober­pfalz zei­gen loka­les Han­deln

(red). Mit­te Juli haben sich die Akteu­re aus dem Pro­jekt „Kli­ma­land­wirt­schaft“ aus Kastl und dem Land­kreis Wei­ßen­burg-Gun­zen­hau­sen in Tri­es­dorf zum Pro­jekt­tag „Kli­ma­neu­tra­li­tät und Bio­di­ver­si­täts­stei­ge­rung“ getrof­fen. Im Mit­tel­punkt stan­den Erfah­rungs­aus­tausch und ers­te Bilan­zie­rung nach ein­ein­halb Jah­ren Pro­jekt­lauf­zeit. Das Baye­ri­sche Staats­mi­nis­te­ri­um für Ernäh­rung, Land­wirt­schaft und Fors­ten för­dert das Pro­jekt, das in Tri­es­dorf am Fach­zen­trum für Ener­gie und Land­tech­nik (FEL) als Pro­jekt­trä­ger umge­setzt wird. Ziel ist es, sowohl Kom­mu­nen und Unter­neh­men als auch die betei­lig­ten Land­wir­te auf dem Weg hin zur Kli­ma­neu­tra­li­tät, sowie bei Erhalt und Erhö­hung der Bio­di­ver­si­tät auf deren Flä­chen zu unter­stüt­zen. Neben den eige­nen Maß­nah­men zur Emis­si­ons­er­fas­sung und ‑reduk­ti­on ist ein Koope­ra­ti­ons­mo­dell zwi­schen Kom­mu­nen bzw. Unter­neh­men und Land­wir­ten das Herz­stück des Pro­jekts. Mit regio­na­len Part­ner­schaf­ten wer­den dabei frei­wil­li­ge Wert­schöp­fungs­pa­ke­te für Bio­di­ver­si­tät und Kli­ma­schutz geschnürt. Fran­zis­ka Sippl, die das Pro­jekt am FEL betreut, gab einen Ein­blick in ihre Arbeit und die bis­he­ri­gen Ergeb­nis­se. In der Ober­pfalz star­te­ten im Mai 2021 die Markt­ge­mein­de Kastl als Kom­mu­ne, ein Phar­ma­un­ter­neh­men und drei Land­wir­te ihre Paten­schaf­ten. Im Land­kreis Wei­ßen­burg-Gun­zen­hau­sen began­nen im Som­mer 2022 neun Kom­mu­nen, elf Unter­neh­men und fünf Land­wir­te ihre Koope­ra­ti­on. Dabei wur­den vie­le ver­schie­de­ne Akti­vi­tä­ten umge­setzt: Neben einem Bil­dungs­pro­gramm rei­chen sie von Emis­si­ons­er­fas­sung und ‑reduk­ti­on durch Kli­ma­schutz­maß­nah­men über die Spei­che­rung von CO2 bis hin zu Bio­di­ver­si­täts­maß­nah­men. Um die Beson­der­hei­ten der hei­mi­schen Flo­ra und Fau­na zu beach­ten, wird das Pro­jekt­team von loka­len Natur­schutz­ein­rich­tun­gen und ‑ver­bän­den unter­stützt, z.B. Land­schafts­pfle­ge­ver­band Mit­tel­fran­ken und Natur­park Hirsch­wald. Die Bay­Wa AG tritt als Mitt­ler zwi­schen den Paten und Land­wir­ten auf, küm­mert sich um Ver­trä­ge, Boden­be­pro­bun­gen zum Nach­weis von Ver­än­de­run­gen des Humus­sta­tus und die Aner­ken­nung von Nach­hal­tig­keits­zer­ti­fi­ka­ten.

Kurt Her­bin­ger, Pro­jekt­lei­ter der Bay­Wa AG, zog für die Paten­schaf­ten im Land­kreis Wei­ßen­burg-Gun­zen­hau­sen Bilanz. Dort ist es mit den betei­lig­ten Land­wir­ten gelun­gen, etwa 360 ha unter Ver­trag zu neh­men. Her­bin­ger hat­te zudem gute Nach­rich­ten für die Pro­jekt­part­ner: Im März 2023 ist es der Bay­Wa AG mit der QAL-Umwelt­gut­ach­ter GmbH gelun­gen, die ers­te Zer­ti­fi­zie­rung zu bekom­men. Die Paten wer­den noch im Lau­fe des Jah­res die ent­spre­chen­den Urkun­den in Hän­den hal­ten kön­nen. Damit kön­nen die Land­wir­te die Optio­nen der CO2 Sen­ken end­lich auch sicht­bar machen und die Paten kön­nen mit den Zer­ti­fi­ka­ten ihr Nach­hal­tig­keits­en­ga­ge­ment doku­men­tie­ren.

Zu den Pro­jekt­er­fah­run­gen aus Sicht eines Land­wirts sprach stell­ver­tre­tend Nor­bert Blei­st­ei­ner (Kastl/Oberpfalz). Die Betei­li­gung am Pro­jekt grün­det für ihn auf drei Aspek­ten: 1. Gewin­nung von Image durch Maß­nah­men zur Stei­ge­rung der Bio­di­ver­si­tät und Öffent­lich­keits­ar­beit. Nach Akti­ons­ta­gen zur Hecken­pfle­ge und Kon­takt mit Bür­ge­rin­nen und Bür­gern erfährt er heu­te mehr Ver­ständ­nis und Wert­schät­zung für sei­ne Arbeit. 2. Aus pflan­zen­bau­li­cher Sicht ist es für ihn inter­es­sant, dass sei­ne Betriebs­flä­chen sys­te­ma­tisch auf Humus­ge­hal­te beprobt wer­den und er die Aus­wir­kun­gen sei­ner land­wirt­schaft­li­chen Maß­nah­men beob­ach­ten und Fol­gen nach­voll­zie­hen kann. 3. Aus öko­no­mi­scher Sicht ist die Paten­schaft aktu­ell noch nicht so inter­es­sant. Da muss die Zukunft erst noch zei­gen, ob sich eine ange­mes­se­ne Ent­schä­di­gung des Auf­wands für Arbeit und Doku­men­ta­ti­on auch finan­zi­ell rea­li­sie­ren lässt. Land­wirt Johan­nes Hütt­ner (Amberg/Oberpfalz) bestä­tig­te Blei­st­ei­ner und brach­te eine wei­te­re Her­aus­for­de­rung in die Dis­kus­si­on ein: In der Pra­xis sei die Umset­zung von Bio­di­ver­si­täts­maß­nah­men am Weg­rand (z.B. Hecken­pfle­ge) schwie­rig. Es wür­den schnell Unstim­mig­kei­ten über Besitz­ver­hält­nis­se und Zustän­dig­kei­ten von Hecken und Bäu­men auf­kom­men. Vie­le Eigen­tü­mer schre­cken vor neu­en Pflan­zun­gen zurück. Gepflanzt ist schnell, doch wer über­nimmt die lang­fris­ti­ge Pfle­ge und Erhal­tung? Zudem besteht die Angst, dass neue Bio­to­pe ent­ste­hen und man sich damit zusätz­li­che Auf­la­gen ein­holt. Hütt­ner unter­stützt den Aspekt des Humus­auf­baus, doch er sieht, ange­sichts des Kli­ma­wan­dels, beson­de­re Her­aus­for­de­run­gen, die­sen auch umzu­set­zen und nach­zu­wei­sen. Die Humus­ver­hält­nis­se im Boden unter­lie­gen viel­fäl­ti­gen Ein­fluss­fak­to­ren, die nicht allein in der Arbeit und Wirt­schafts­wei­se der Land­wir­te grün­den.

Ste­fan Braun, ers­ter Bür­ger­meis­ter der Markt­ge­mein­de Kastl, berich­te­te über sei­ne Erfah­run­gen als Ver­tre­ter einer Kom­mu­ne. Auch er habe bemerkt, dass vie­le Land­wir­te bei wei­te­ren Maß­nah­men zur Stei­ge­rung der Bio­di­ver­si­tät eher reser­viert sind. In die­sem Zusam­men­hang lob­te er die fach­kun­di­ge Pro­jekt­be­glei­tung durch das Fach­zen­trum für Ener­gie und Land­tech­nik. Sol­che Pro­zes­se brau­chen Auf­klä­rung, Mode­ra­ti­on für die Öffent­lich­keit und Abstim­mung zwi­schen den Part­nern. Er sieht sei­ne Kom­mu­ne auf einem guten Weg. In Kastl ist es mit eige­nen Maß­nah­men gelun­gen, die CO2-Emis­sio­nen bereits deut­lich zu redu­zie­ren. Braun schätzt sehr die loka­len Kom­pen­sa­ti­ons­mög­lich­kei­ten durch die Koope­ra­ti­on mit den Land­wir­ten vor Ort. Wich­tig ist für ihn, dass man auch trans­pa­rent macht, was getan wird. Ganz unter dem Mot­to der Akti­ons­ta­ge in Kastl „Sehen-Anfas­sen-Tun“!

Von der Rol­le des Natur­parks Hirsch­wald berich­te­te des­sen Geschäfts­füh­re­rin Isa­bel Lau­ten­schla­ger. Sie und ihre Mit­ar­bei­ter unter­stütz­ten und betei­lig­ten sich an ver­schie­de­nen Maß­nah­men, von Obst­baum­pflan­zun­gen, Akti­ons­ta­gen zur Hecken­pfle­ge, Auf­hän­gung von Nist­käs­ten, Humus­un­ter­su­chun­gen, Bil­dungs­maß­nah­men und Öffent­lich­keits­ar­beit. Her­aus­ra­gend ist für Lau­ten­schla­ger das gemein­sam ent­wi­ckel­te Bil­dungs­an­ge­bot für Nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung für Grund- und Mit­tel­schu­len. Auch hier wur­de unter dem Mot­to „Sehen-Anfas­sen-Tun“ gear­bei­tet. Die Schü­le­rin­nen und Schü­ler pack­ten tat­kräf­tig bei der Hecken­pfle­ge mit an. Es wur­den Hecken auf Stock gesetzt, Bäu­me gepflanzt und Nist­käs­ten auf­ge­hängt. Mit der kon­kre­ten Zusam­men­ar­beit der Part­ner in Kastl hat­te sie auch das idea­le Pra­xis-Bei­spiel für ihre baye­ri­schen Natur­park-Kol­le­gen. Für sie geht der Weg wei­ter – das Moni­to­ring der Flä­chen in Kastl-Men­ners­berg, die Maß­nah­men mit den Land­wir­ten, aber auch das Bil­dungs­an­ge­bot für Schu­len und Kitas.

Auch Land­rat Manu­el West­phal (Land­kreis Wei­ßen­burg-Gun­zen­hau­sen) zeig­te sich zufrie­den. Neben den acht Kom­mu­nen und elf Unter­neh­men über­nahm auch der Land­kreis selbst eine Paten­schaft (30 ha). Wich­ti­ge Plus­punk­te sind für ihn die tol­le Beglei­tung bei der Umset­zung sowie das Moni­to­ring sei­tens des FELs. Die Zer­ti­fi­zie­rung des Pro­jekts und die fort­ge­schrit­te­ne Audi­tie­rung run­den für ihn das Pro­jekt ab. Die Betei­li­gung am Pro­jekt brin­ge vie­le Vor­tei­le für Gesell­schaft und Kli­ma­pa­ten.

Bio­di­ver­si­tät und Umwelt­maß­nah­men konn­ten alle Akteu­re im Pomo­re­tum der Land­wirt­schaft­li­chen Lehr­an­stal­ten Tri­es­dorf im Rah­men einer Füh­rung erle­ben. Gärt­ner­meis­ter Simon Schnell erläu­ter­te die Anla­ge mit 1700 Sor­ten Äpfel, Bir­nen und Zwetsch­gen. In Tri­es­dorf wer­den die ver­schie­de­nen Anbau­op­tio­nen in der Pra­xis gezeigt: von Streu­obst­ge­län­de, klas­si­scher Anla­gen­pflan­zung mit Halb­stamm­bäu­men und Spin­del­bäu­men zur Sor­ten­si­che­rung. Pfle­ge­auf­wand, Arbeits­pro­zes­se und Bio­di­ver­si­täts­wir­kung unter­schei­den sich dabei enorm. Kurz gesagt, Streu­obst­wie­sen sind für Sor­ten­er­hal­tung und Bio­di­ver­si­tät wert­vol­ler. In der Rea­li­tät ent­schei­den Ver­brau­che­rin­nen und Ver­brau­cher mit ihren Kauf­ent­schei­dun­gen über die Gestal­tung der Anbau­ver­fah­ren und die Viel­falt im Obst­an­bau. Wich­tig ist, Ver­ständ­nis zu schaf­fen und Bio­di­ver­si­tät inte­gra­tiv zu gestal­ten.

Das Pro­jekt wird fort­ge­setzt und ist offen für wei­te­re Inter­es­sen­ten, Land­wir­te, Kom­mu­nen und Unter­neh­men oder Finanz­dienst­leis­ter. Wei­te­re Infor­ma­tio­nen sowie ein aus­führ­li­ches Video zum Pro­jekt sind auf der Home­page der Land­wirt­schaft­li­chen Lehr­an­stal­ten Tri­es­dorf ver­füg­bar (https://www.triesdorf.de/projekte-fel). Inter­es­sen­ten wen­den sich bit­te an Fran­zis­ka Sippl, Fach­zen­trum für Ener­gie und Land­tech­nik Tri­es­dorf (franziska.sippl@triesdorf.de).

Annet­te Schmid FEL Tri­es­dorf

Bild­un­ter­schrift: 11.07.2023 Grup­pen­bild Pro­jekt­tag „Kli­ma­neu­tra­li­tät und Bio­di­ver­si­täts­stei­ge­rung“
Foto: Annet­te Schmid