Koordinierungsstelle „Sucht im Alter“ gegründet

Ansbach (jg). Der demographische Wandel: Ein Phänomen, das unter anderem auf die stetig wachsende Lebenserwartung der Menschen zurückzuführen ist. Doch das Alter bringt nicht nur Weisheit mit sich; gleichermaßen ist es von Fragilität gezeichnet und gibt Krankheiten damit mehr Angriffsfläche. Oftmals führt dann der einzige Weg in Richtung Besserung nicht an einer medikamentösen Behandlung vorbei, auch wenn gewisse Inhaltsstoffe von Medikamenten bekanntlich süchtig machen können. Neben der Tatsache, dass es deutschlandweit 65.000 bis 70.000 Opiatabhängige ältere Menschen gibt, von denen 20.000 zu, als problematisch eingestuftem, Konsum neigen, werden auch Rauschmittel wie Alkohol zur Betäubung konsumiert.

„Sucht im Alter“ – ein Tabuthema, das in der Gesellschaft schon lange Zeit wenig Beachtung findet – auch im Landkreis Ansbach. Diese Meinung vertreten gleichwohl Eva Adorf und Nina Gremme – zwei engagierte Frauen, die im Oktober vergangenen Jahres das Projekt der „Koordinierungsstelle zur Verbesserung der Versorgungssituation von älteren Menschen mit Suchtproblemen“ ins Leben riefen, um in dieser Problematik aktiv einzugreifen. Ein Projekt, das bisher sehr erfolgsversprechend zu sein scheint. Zu sehen ist dies unter anderem an allerlei Einrichtungen, die sich bereits für eine Kooperation mit der Koordinierungsstelle entschieden haben. Und auch in Zukunft sollen sich immer mehr Institutionen aus dem Gesundheitswesen sowie der Alten- und Suchthilfe in das Vorhaben einbinden. Wie viel Unterstützung das Projekt bereits in seiner Geburtsstunde erhält, belegte die Anwesenheit von Vertretern der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, des Diakonischen Werks Altdorf-Hersbruck-Neumarkt e.V., der Caritas Fürth, der Drogen- und Suchtberatungsstelle Nürnberg sowie der Mudra, beim vergangenen Pressegepräch im Bezirksrathaus.

Die Ausgangslage für die Gründung der Koordinierungsstelle war eine strukturelle Enttabuisierung von Suchtproblemen im Alter. „Das Thema war lange Zeit verleugnet und schambehaftet“, wie Adorf (Stabsstelle Koordination) feststellte. Als ein weiteres Problem sehen die Projektkoordinatorinnen die geringe Überleitung in das Suchthilfesystem und auch zu wenig sensibilisierte Fachkräfte stünden einer Optimierung des Hilfsangebotes für ältere Suchterkrankte im Weg. Zielgruppe sind suchterkrankte Menschen über 40 und deren Angehörige. Laut Angaben der Expertin riskieren etwa 30 Prozent der Männer und 18 Prozent der Frauen erhebliche gesundheitliche Schäden aufgrund eines übermäßigen Alkoholkonsums. Ferner nehme ein geringer Prozentsatz der 60 bis 64-jährigen regelmäßig sowohl Schlaf-, als auch Beruhigungsmittel zu sich. Erste Anzeichen einer möglichen Abhängigkeit würden dabei oftmals unbeachtet, dabei sei es essentiell wichtig, insbesondere ältere Suchterkrankte ins Versorgungssystem einzuschleusen, wie Adorf betonte. Zu oft werden Betroffene erst spät als solche identifiziert. Gründe dafür seien beispielsweise, dass der oder die Erkrankte isoliert wohnen, Indizien wie Depressionen oder Verhaltensänderungen als „typische Begleiterscheinungen“ der Medikamente oder gar des Alters abgetan werden und eine Abhängigkeit somit gar nicht oder viel zu spät erkannt werde. Als präventiven Ansatz sieht Ralf Frister von der Bereichsleitung Suchthilfe des Diakonischen Werks, ein konzeptionelles Angebot von Wohngemeinschaften für ältere, suchtkranke Menschen. Laut Frister sei es bedeutend, Menschen die „aus dem Arbeitsprozess aussteigen und keine drei Stunden am Tag mehr tätig sein können“, nicht in vollstationäre Pflegeeinrichtungen zu geben weil sie dort nicht richtig aufgehoben seien. Deshalb ist ihm wichtig: Dieses Thema „muss raus aus der Schmuddelecke.“ Außerdem müssen sich in vielerlei Hinsicht Rahmenbedingungen ändern, um „die Zielgruppe gut erreichen zu können.“

Ziel der Koordinierungsstelle

Die primären Ziele der Koordinierungsstelle zur Verbesserung der Versorgungssituation von älteren Menschen mit Suchtproblemen sind zum einen das Schaffen von Synergien zwischen den verschiedenen Hilfebreichen, wie Sucht-, oder Altenhilfe. Ferner sollen die Übergänge in medizinischer Versorgung und Suchthilfe verbessert werden sowie die Mobilität gefördert. Zuletzt wird der strukturierten Bestandsaufnahme und Darstellung von Versorgungsangeboten für den mittelfränkischen Raum besondere Bedeutung erteilt.

Wichtige Bausteine
Als einen grundlegenden Baustein des Projektes sieht Hans-Dieter Moritz von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, das frühzeitige Erkennen der Zielgruppe. Betroffene sollen sensibilisiert und bestmöglich über die bestehenden Angebote aufgeklärt werden. Sorge bereiten Moritz allerdings ungenügend sensibilisierte Fachkräfte und Anlaufstellen. “Ein Ziel der KVB ist es, heimatnah Angebote zu schaffen.“ Ferner erklärte er: „In Mittelfranken sind es flächendeckend 3.500 niedergelassene Haus- und Fachärzte und zig tausende Arzthelfer/innen, die für die Versorgung da sind.“ Doch ohne auszureichende Schulung reicht das Know-How für die Beratung und Behandlung von älteren Menschen mit riskantem Substanzkonsum nicht aus. Dafür sei eine weitreichende Vernetzung zwischen den Beratungsstellen und Ärzten von Nöten, so könne man Aufgaben effektiv bündeln, wie Gremme anfügte. Hinsichtlich darauf, unterstrich Adorf, soll der eigene Hausarzt als eine Art „Lotze“ agieren.

Zuletzt stellte Bezirkstagspräsident Armin Kroder, der dem Pressegespräch gleichwohl beiwohnte, klar, dass sich besonders um eine Sensibilisierung und Endtabuisierung in der Gesellschaft bemüht werde. Ermutigend hob er hervor: „Wir wollen, dass sich niemand dafür schämen muss, dass er krank ist.“Abschließend war es den Experten von besonderer Bedeutung, klarzustellen, dass eine vollständige Abstinenz von der Suchterkrankung nicht das endgültige Ziel definiere. Ebenso befriedigend sei eine einfache Konsumreduktion.

Foto: „Sucht im Alter“: Ein Tabuthema, bei dem auch im Landkreis Ansbach besonderer Handlungsbedarf besteht. Projektkoordinatorinnen Eva Adorf (1. Reihe, 1. v.l.) und Nina Gremme (1. Reihe, 3. v.l.) taten mit der Gründung der Koordinierungsstelle einen wichtigen Schritt zur Verbesserung der Situation von älteren Suchterkrankten. Foto: Janine Gierszewsky

 

 

 

 

 

 

  • Wochenzeitung - Werbung - Hier könnte Ihre Werbung stehen